Sonnenuntergang in Kassel (Lara Bendig)

Sonntag, 2. September 2018

Gedanken zum Herbst

Besonders wenn man fern der Lichter der Großstadt den Sternenhimmel ansieht, kann man leicht ins philosophieren kommen. Schon Immanuel Kant hat den gestirnten Himmel über uns bewundert: 

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung…der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ 

Und wenn wir heute, etwa 250 Jahre später, an den Himmel blicken, bietet er uns immer noch den gleichen Anblick wie zu Kants Zeiten:  Unveränderlich und ewig scheint der Kosmos zu sein.

Aber dieser Anblick täuscht. Er entsteht durch die kurze Lebensdauer eines Menschen, so dass selbst viele Generationen kosmisch nur einen Augenblick überdauern. Der Kosmos entwickelt sich, sein heutiger Zustand hat sich vor 13,8 Milliarden Jahren gebildet und wenn die beschleunigte Ausdehnung des Kosmos so weitergeht, dann werden in einigen hundert Milliarden Jahren alle Strukturen durch die inflationäre Ausdehnung des Kosmos zerstört sein.

Stellen sie sich nun einmal vor, ein Menschenleben würde 700 Millionen Jahre dauern. Wir würden während unseres Lebens die Veränderungen der Kontinente sehen, der Anblick der Erde würde sich ständig ändern. Unsere Sonne wäre am Ende eines Menschenlebens sichtbar größer, auch der Radius der Mondbahn hätte sich durch die Wirkung von Ebbe und Flut um fast 10% vergrößert.
Die Sterne würden am Himmel nicht stillstehen, sondern wir würden die Drehbewegung unseres Milchstraßensystems erkennen und die zufälligen Eigenbewegungen der Sterne: wie Flugzeuge an unserem Himmel würden sie ihre Bahnen beschreiben.
Der Kosmos dehnt sich zwar aus, trotzdem aber können nahe beieinander stehende Galaxien zusammenstoßen und miteinander verschmelzen. Die dabei entstehenden Verformungen der Galaxien würden wir während unseres Lebens sehen können und die Andromedagalaxie käme im Laufe unseres Lebens 300000 Lichtjahre näher, das ist mehr als 10% ihres jetzigen Abstandes. Am Ende unseres Lebens würden wir sie heller und größer am Himmel sehen als während unserer Kindheit. Unsere Ur-Ur-Enkel würden sich schon auf das Schauspiel der nahenden Verschmelzung freuen können.

Simulation des Netzwerkes aus Dunkler Materie mit Galaxienhaufen (gelb), MPA
Wir erkennen heute, dass Galaxien an den Knoten eines gigantischen Netzwerkes aus Dunkler Materie stehen. Sie sind keine unveränderlichen Welteninseln, sondern wechselwirkende Systeme, die sich durchdringen und verbinden können.

Unser Zeitmaßstab ist nicht kosmisch, ein Menschenleben ist weniger als ein Augenblick in der Entwicklung des Universums.

Wir sollten  endlich begreifen, dass wir nicht einen festen zentralen Platz in einer ewigen Welt haben, sondern Teil eines Prozesses sind, einer gigantischen Veränderung, dass es eine Zukunft des Universums ohne uns geben wird, genauso wie es eine Vergangenheit des Kosmos ohne uns gegeben hat.

Aber noch eine andere philosophische Frage ist in den Blickpunkt der modernen Astrophysik gerückt:

Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nur nichts? 

Nun, das „Etwas“ was wir sehen, sind 300 Milliarden Galaxien, jede mit vielen hundert Milliarden Sternen, Planeten und Gaswolken angefüllt. Aber diese leuchtende sichtbare Materie macht nur etwa 2% der Substanz unseres Kosmos aus. Den Rest sehen wir nicht, weil er nicht leuchtet, weil er aus Dunkler Materie oder vielleicht sogar aus Dunkler Energie besteht.

Der „gestirnte Himmel“ über uns ist wie die Spitze eines Eisberges, das meiste bleibt unseren direkten Blicken verborgen.

Viele Modelle der Kosmologie gehen davon aus, dass alles aus einer zufälligen Energieschwankung vor 13,8 Milliarden Jahren entstanden ist. 
Und vielleicht ist deshalb die Frage, warum es überhaupt etwas gibt, falsch gestellt. 
Die anfängliche Energiefluktuation könnte beliebig klein, nahezu Null gewesen sein. Und dann wäre die innere Struktur des Universums nichts anderes als die Entwicklung des anfänglichen Nichts: 

Wir leben im „Nichts“.

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